London (ddp). Die chronisch-entzündliche Darmerkrankung Morbus Crohn entsteht entgegen bisheriger Annahmen wohl nicht durch eine zu starke, sondern durch eine zu schwache Immunantwort: Britische Wissenschaftler haben mit verschiedenen Methoden nachgewiesen, dass die Reaktionen des Immunsystems bei Crohn-Patienten um bis zu 80 Prozent geringer sind als bei gesunden Kontrollpersonen. Betroffen ist dabei nicht nur der Darm, sondern der gesamte Körper. Sollten sich diese Ergebnisse auch in größeren Studien bestätigen, müsste die Therapie der Darmerkrankung völlig neu überdacht werden - schließlich wird sie als mutmaßliche Autoimmunerkrankung bislang mit Medikamenten behandelt, die das Immunsystem unterdrücken. Über ihre Studie berichten Daniel Marks vom University College in London und seine Kollegen in der Fachzeitschrift «The Lancet» (Bd. 367, S. 668). Bei Morbus Crohn entzündet sich immer wieder die Schleimhaut an unterschiedlichen Stellen des Darms. Wodurch diese Entzündungen ausgelöst werden, ist nach wie vor unbekannt. Am stärksten favorisiert wird momentan die These einer Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem überreagiert und das eigene Körpergewebe angreift. Als Marks und seine Kollegen nun jedoch das Immunsystem von Crohn-Patienten untersuchten, fanden sie eine schwächere Reaktion als bei Gesunden. So beobachteten sie beispielsweise nach einer kleinen Verletzung der Darmschleimhaut bei den Patienten fast 80 Prozent weniger weiße Blutkörperchen an der betroffenen Stelle als bei der Vergleichsgruppe. Das gleiche galt auch für Abschürfungen an der Haut: Hier war die Immunreaktion um etwa 50 Prozent reduziert. Auch eindringende Bakterien riefen bei den Crohn-Patienten lediglich eine halb so starke Immunantwort hervor wie bei Gesunden. Lediglich die später folgende chronische Entzündungsreaktion war bei den Erkrankten stärker als bei den Kontrollpersonen. Der Darmkrankheit liegt demnach ein allgemeiner Defekt des Immunsystems zugrunde, schließen die Forscher. Er manifestiert sich wahrscheinlich deswegen im Darm, weil es dort extrem häufig zu Kontakten mit Bakterien kommt. Ursache scheint dabei die fehlende Alarmierung einer Gruppe weißer Blutkörperchen zu sein, die normalerweise eindringende Mikroben töten und die Bruchstücke beseitigen. Fehlen sie, springen andere Immunzellen ein, die die Erreger jedoch lediglich aufnehmen und nicht beseitigen. Diese bakterienbeladenen Zellen bilden anschließend knötchenartige Veränderungen an der Darmschleimhaut, die ständig entzündungsfördernde Substanzen produzieren und damit die chronische Entzündung auslösen. Die Forscher hoffen nun, auf der Basis dieser Ergebnisse gezieltere und damit effektivere Behandlungsstrategien entwickeln zu können.
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